Das Bild „Boot auf hoher See“ ist eines meiner Lieblings-Fotografien aus einem Mallorca-Urlaub. Eigentlich war ich aus einem ganz anderem Grund zu nachtschlafender Zeit von meinem Hotel losgefahren. Bereits gegen 05:00 Uhr am Morgen – noch vor dem Frühstück war ich unterwegs nach Cap Formentor. Ich wollte unbedingt den Sonnenaufgang hinter dem Leuchtturm sehen und natürlich auch fotografieren. Dort angekommen boten mir die vielen Felsen eine großartige Sicht auf den Leuchtturm. Ich holte mein Kamera-Equipment aus dem Wagen und baute es schon einmal auf. Danach hieß es erst einmal warten. Wilde Ziegen kamen näher und beäugten mich neugierig. Kurz überlegte ich, ob der Ziegenbock mich als ungebetenen Gast vielleicht vom Felsen stoßen könnte. Es blieb aber freundschaftlich.
Als die Sonne begann aufzugehen, stellte ich meine Kamera ein und schoss einige Fotos. Es waren schöne Aufnahmen, die die faszinierende Szenerie perfekt einfingen. Plötzlich entdeckte ich weit unter mir ein Boot, welches relativ dicht an den Felsen vorbei fuhr. Es fuhr recht schnell, sodass ich mich beeilen musste. Schnell nahm ich die Kamera vom Stativ, um es zu fotografieren. Um bei der Dynamik des Bootes keine Unschärfe zu riskieren, entschloss ich mich für eine geringe Belichtungszeit und wählte auch zum Glück einen großzügigen Bildausschnitt, der mir später Raum zum „Spielen“ ließ.
Bei der Sichtung und Nachbearbeitung zurück in Berlin merkte ich, dass durch die geschickte Wahl des Bildausschnitts das Bild den Eindruck erweckt, als wäre es aus einem Flugzeug aufgenommen worden. Man könnte vermuten, das Boot sei viel weiter von mir entfernt, als es das tatsächlich war. Diese Wirkung entsteht durch den Bildausschnitt, der sowohl Felskante als auch Horizont ausklammert und auf diese Weise durch fehlende Bezugspunkte Rückschlüsse auf den genauen Blickwinkel nicht zulässt.
Durch die hohe Brennweite verdichtet sich außerdem das Blickfeld. Der Betrachter spürt die Distanz zwischen dem Boot und mir als Fotograf. Dank dieser Technik ist es dem Betrachter unmöglich, die korrekte Entfernung zu schätzen. Unwillkürlich schließt er auf das wahrscheinlichste: die Aufnahme aus einem Flugzeug oder Hubschrauber.
Ich habe daraus gelernt, dass man nicht im Flugzeug sitzen muss, um solche Fotos zu erzielen. Entscheidend ist der richtige Blickwinkel und nicht die absolute Distanz, aus der man ein Motiv fotografiert. Hier probiere ich mich gern aus, denn ein Bild kann je nach Perspektive eine ganz andere Wirkung erhalten. Eine Draufsicht erzielt eine andere Wirkung, als eine leicht diagonale Sicht – insbesondere, wenn Licht und Gegenlicht ins Spiel kommen. Nicht immer stimmen dann Bildeindruck und bildgebende Szenerie überein – das wäre jedoch nur bei einem Reporter wichtig.
Wenn es die Zeit zulässt, sollte man es folglich nicht immer bei einer Einstellung belassen. Das Variieren von Brennweite, Blende und Belichtungszeit führt manchmal zu faszinierenden Ergebnissen. Noch vielmehr gilt dies fürs Testen verschiedener Blickwinkel. Außerdem sah ich mich wieder einmal bestätigt, dass man möglichst bei jeder Gelegenheit seine Kamera mitnehmen sollte. Die besten Bilder entstehen häufig spontan und unverhofft. Bei mir musste dann häufig das Handy herhalten, wie beispielsweise bei dem Foto vom Sonnenaufgang über Berlin. Und ganz ehrlich: Wenn man jedes Bild plante, verschwände schnell die Freude am Fotografieren, oder?
Also: Raus aus dem Automatikmodus und der vermeintlich idealen Perspektive!